Bericht über den 1. Deutschen Hirntag
Der 1. Deutsche Hirntag des Verbandes war eine gute Grundlage für weitere Diskussionen mit der Politik
Gesetze und Schicksal – die betroffenen Angehörigen kamen zu Wort
Der 1. Deutsche Hirntag am 10. Juni 2016 in Berlin führte die Teilnehmer durch zwei Praxisbeispiele in das Thema Pflegestärkungsgesetz ein.
Angela Hoffmann, die Frau eines schwer Hirngeschädigten, berichtete von dem Schicksal ihrer Familie. Ihr Mann Peter erlitt im Jahre 2000 durch einen Vorderwandherzinfarkt ein schweres Hirntrauma. Nach der Intensivphase ließ sie sich von der Arbeit freistellen und versorgte ihren Mann rund um die Uhr selbst. Dies war nicht nur eine körperliche, sondern auch eine finanzielle Überforderung. Den Lebensunterhalt bestritten sie von der Erwerbsunfähigkeitsrente und dem Pflegegeld. Vier Jahre später gründete sie nach dem Arbeitgebermodell eine eigene Firma, um die häusliche Pflege aus angestelltem Pflegepersonal abzusichern und um auch teilweise wieder in ihren ursprünglichen Beruf zurück zu kehren. Doch die „Firma“ musste 2010 wegen Personalmangel geschlossen werden.
Seit dieser Zeit wird Peter Hoffmann durch einen ambulanten Pflegedienst versorgt, seine Frau Angela übernimmt zwar täglich noch 2,5 Stunden an pflegerischen Maßnahmen und ist wieder berufstätig.
Angela Hoffmann stellte die Vor- und Nachteile aus den unterschiedlichen Formen der Pflege ihres Mannes in den letzten 15 Jahren vor.
Britta Tillmann und Wiltrud Bergmann, zwei Freundinnen und Betreuerinnen einer schwerst Betroffenen berichteten sehr anschaulich, welche Probleme bei einer Betreuung auftreten können. Sie berichtete, wie ein Wechsel aus einer stationären Einrichtung in eine ambulant betreute Wohngruppe große finanzielle Vorteile bringt.
Staatssekretär Laumann referierte und war bereit in der Diskussion Probleme zu vertiefen
Staatssekretär Karl-Josef Laumann ging nach dieser praxisorientierten Einführung zunächst auf die eigentliche Zielgruppe des Pflegestärkungsgesetzes ein und erklärte, dass der Fokus bei der Pflegeversicherung „auf die Pflege altersbedingter pflegebedürftiger Menschen und deren Struktur“ abgestimmt ist. So ist die Pflegeversicherung für Laumann eine „Teilkaskoversicherung für den hirnverletzten Patienten, weil die Pflegeversicherung in der Masse für ein anderes Problem gemacht wurde.“ Dies griff Siegel, stellvertretender Vorsitzender auf und erklärte, dass dies doch deutlich mache, dass hier Gesprächs- und Handlungsbedarf besteht.
Sebastian Lemme stellte die Leistungen nach SGB V in den Mittelpunkt
Dass die Qualität der Versorgung eines schwerst Hirngeschädigten nicht von den Leistungen der Pflegeversicherung abhängt, sondern vielmehr durch die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen bestimmt sind, erläuterte der Experte für Leistungsrecht, Sebastian Lemme, in seinem Vortrag. Dabei sieht Sebastian Lemme das Problem weniger in den Leistungen der Pflegeversicherung, sondern vielmehr darin, dass die Krankenkassen derzeit gerade in spezialisierten vollstationären Versorgungen ihrer gesetzlichen Leistungspflicht nur unzureichend nachkommen. Grundsatzurteile, so Lemme, gebe es auch deshalb nicht, weil entsprechende Prozesse von den Krankenkassen vor der Verhandlung durch eine Anerkennung des streitigen Anspruchs beendet würden und deshalb nicht mehr von dem Bundessozialgericht verhandelt würden.
Lemme rät den Betroffenen und den Angehörigen dringend dazu, im Leistungsrecht versierte Anwälte frühzeitig zu Rate zu ziehen. Ihm sind nur zwei Anwälte persönlich bekannt, die hier für die Rechte der Versicherten gut eintreten könnten.
Die Geschäftsführung der BAG Phase F e.V. forderte die finanzielle Gleichstellung der stationären mit der ambulanten Versorgung
Elke Feuster und Dirk Reining von der Bundesarbeitsgemeinschaft Phase F gaben Einblicke in die speziellen Angebote stationärer Pflegeeinrichtungen für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen. Das feste pflegerische und therapeutische Team um den einzelnen Patienten, die Flexibilität der eigenen Therapeuten und auch das zusätzliche tagesstrukturierende Angebot wurden hier besonders hervorgehoben. Die Kritik an der unterschiedlichen Finanzierung der stationären zu der ambulanten Versorgung und auch das Problem der mangelnden Qualitätskontrolle bei den ambulanten Wohngemeinschaften wurden hier deutlich.
Petra Burkert von RENAFAN ging auf die häusliche Versorgung ein
Petra Burkert, Leiterin der Assistenzpflege bei der RENAFAN GmbH, ging in ihrem Beitrag auf die Komplexität der häuslichen Versorgung ein. Sie bestätigte u.a. die zuvor von Angela Hoffmann vorgetragene Problematik, dass bis zu zehn Hausärzte aufgesucht werden mussten, bis einer die Versorgung ihres Mannes übernahm. Die Herausforderung im häuslichen Umfeld liegt darin, dass alles vor Ort organisiert werden muss und nicht auf schon vorhandene Strukturen zurückgegriffen werden kann. Ein ganzes Spektrum von Maßnahmen führte Burkert auf, die ihr Pflegeteam zur Qualitätssicherung einsetzt, um so die individuelle Versorgung des Patienten vor Ort sicherstellen zu können.
Lothar Ludwig durchlebt Höhen und Tiefen
Im zweiten Teil der Tagung berichtete Lothar Ludwig, palliativversorgter Patient, in einem im Dezember 2015 aufgenommenen Interview von seiner persönlichen Erfahrung mit der Palliativmedizin und deren Wirkungsweise. Ludwig, der zum Zeitpunkt der Veranstaltung im Krankenhaus einer Strahlentherapie nachkam, erklärte seine Handlungsweise von der Diagnose, den Untersuchungsverläufen, seiner Patientenverfügung bis hin zu seiner Wahl einer entsprechenden pa
lliativmedizinischen Einrichtung, mit der er bereits vorsorglich Kontakt aufgenommen hat.
Dr. med. Wilfried Schupp ging auf die Nachsorge ein
Dr. med. Wilfried Schupp, Chefarzt der Neurologischen Fachklinik Herzogenaurach, ging auf die palliativmedizinischen Interventionsmöglichkeiten beim schwerst Hirngeschädigten ein. Inwieweit jedoch vor der Erkrankung geäußerte Willenserklärungen umzusetzen sind, hängt eben nicht ausschließlich von der Kenntnisnahme des Patientenwillens, sondern auch von seinem direkten Umfeld ab. Streitfälle entstehen dann, wenn das Umfeld des Betroffenen nicht oder nur unzureichend über dessen Willen aufgeklärt ist.
Die Fachbeiträge der Referentinnen und Referenten werden im Herbst in einem Tagungsband veröffentlicht, der über unsere Geschäftsstelle bezogen werden kann. Mitglieder erhalten diesen kostenlos.
Karl-Eugen Siegel
Stellv. Vorsitzender SHV – FORUM GEHIRN e.V.
Juni 2016
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