Klänge, die bewirken ….

Im Rahmen der 2. Fachtagung des Arbeitsfeldes Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen (MeH) in Bielefeld, fand auch ein Workshop zum Thema statt. Die Teilnehmer des Workshops waren auf-merksam bei den Ausführungen zum Thema „Musiktherapie bei Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen“. Dr. Ansgar Herkenrath, Musiktherapeut, schaffte es mit seinem Vortrag einen Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Wahrnehmung bei den Menschen im Wachkoma herzustellen. Während seines Vortrages wurden Videosequenzen seiner Musiktherapie eingespielt. 

Ich erinnere mich noch sehr genau, als ich im Jahr 2000 meine erste Musiktherapie gemeinsam mit meiner Frau in Leezen erlebte. Unser Sohn,  noch im Wachkoma, hatte Musiktherapie und wir durften dabei sein. Es war unheimlich still, die Musik und der Gesang bei der Begrüßung ging mir durch und durch. Es war ein sehr starkes emotionales Erleben. 

Erinnerung an eine Zeit, die schon über 10 Jahre zurückliegt. Erinnerung deshalb, weil ich mich mit einmal in diese Situation hineinversetzt fühlte. Ich konnte diese Sequenz  von innen heraus noch einmal nachempfinden. So hörte ich zu und konnte die Worte von Dr. Herkenrath sehr persönlich wahrnehmen und verinnerlichen. Ich spürte den für mich nachempfundenen  Zusammenhang zwischen den Tönen, der Stimme und den erkennbaren „bewussten Handlungen“  des Betroffenen. Es war eine willkürliche Handlung zu erkennen, die bewusst und  sehr schlüssig nachzuvollziehen ist.  Die Videosequenzen ließen sehr deutlich miterleben, dass die Musik sehr konkret wahrgenommen wird. Und für mich war zu erkennen, dass die Handlungen des Betroffenen, die hohe Konzentration verlangten, dann  auch nach¬zuvollziehen waren.  Hier muss aber unbedingt beachtet werden, das Gesehene ist immer nur personifiziert zu erkennen. 

Welche Leistung von Dr. Herkenrath als Musiktherapeut und welch eine Leistung des Betroffenen. Wir müssen uns vorstellen, der Mensch, stark eingeschränkt durch seine Schädelhirnverletzung, schafft es wahrzunehmen, zu verarbeiten und daraus mit seinen Mitteln etwas wiederzugeben. Für ihn bedeutet es sehr viel Energie seine Ausdrucksform zu finden. Aber, achten wir stets darauf, es ist seine Möglichkeit. Nicht bei jedem Betroffenen ist es möglich. Wir müssen hier immer das Individuum sehen. Eine Verallgemeinerung ist nicht möglich. Das kann nur gelingen, wenn sie beide in der Sitzung eine Einheit bilden. Ein vertrauensvoller Umgang miteinander, eine Basis, die dann auch diesen Erfolg mit sich bringen kann. 

Wir müssen uns immer im Klaren sein, hier muss verstanden werden, dass Menschen im Wachkoma durchaus wahrnehmen und auch in der Lage sind, willkürliche Handlungen zu vollziehen. Das mag durchaus für manchen nicht einsehbar sein, aber es ist möglich, das haben die Videosequenzen eindeutig belegt.

Der zweite Teil des Workshops wurde von Herrn Michael Herrlich, ebenfalls Musiktherapeut gestaltet. In seinem Vortrag ging er auf die Macht der Musik ein. Eine Macht, die bei Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen wirksam werden kann. Nicht sofort und nicht mit jeder Musik. Die Teilnehmer wurden in die Gestaltung praktisch einbezogen. Egal, ob das musikalische Talent vorhanden war oder nicht.
  

Es ging um das Mitmachen. Alle sangen und bewegten Instrumente, so auch ich. Gemeinsam die Stunde zu erleben war hochspannend. Mich interessierten seine Ausführungen sehr. Bei einem Beispiel konnte ich sehr gut etwas nachvollziehen. Musiktherapie mit dem Ziel einen MeH zu bewegen sich darauf einzulassen, ist abhängig vom Musiktherapeuten. Genauso muss die Musik den Betroffenen erreichen, er muss mit der Musik ganz persönliches für sich in eine Beziehung  bringen. 
  

So schilderte er ein Erlebnis, wo es erst nach zweijähriger intensiver Arbeit gelungen ist, mit dem Titel „Sailing“ mit Rod Stewart die Aufmerksamkeit des Betroffenen zu erwirken. Ein Zufallstreffer, das war’s! Hier war allein durch dieses eine Stück der Bann gebrochen. Fortlaufend baute sich eine Gemeinsamkeit bei den Musiktherapiestunden auf. 
Musik geht in das Innere, baut Aggression und Stress ab und macht uns alle Hoffnung auf zukünftiges. 
  

Schade, dass die Musiktherapie nicht überall für MeH als Therapie zur Verfügung steht. Sehr belastend erfahren Angehörige, dass diese sehr gute Therapie nicht anerkanntes Heilmittel ist und somit nicht durch die Krankenversicherung bezahlt wird. Hoffnungsvoll kann ich hier nur jede Einrichtung auffordern, diese Möglichkeit im Rahmen von Therapien den Betroffenen kostenlos zu ermöglichen.

Ich darf hier an dieser Stelle an Sponsoren und an Spender appellieren, durch ihre Unterstützung dazu beizutragen, dass es auch weiterhin möglich sein kann, Musiktherapie für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen durchzuführen.

 

Lothar Ludwig, betroffener Vater
November 2011 

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