Das Schädelhirntrauma / Koma und wie gehe ich/wir damit um?

Michael Schumacher und Ariel Scharon im Fokus der Medien

shtZwei Ereignisse haben in den letzten Tagen zwei Themen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Zum Ersten das Schädel-Hirn-Trauma (Auszug aus WIKIPEDIA: „Als Schädel-Hirn-Trauma (altgr. τραύμα trauma „Wunde“)(Abkürzung: SHT) bezeichnet man jede Verletzung des Schädels mit Hirnbeteiligung, aber keine reinen Schädelfrakturen oder Kopfplatzwunden. Wegen der Gefahr von Hirnblutungen oder anderer Komplikationen wird für jeden Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma (auch „nur“ Gehirnerschütterung) die Beobachtung im Krankenhaus empfohlen.)“ und zum Zweiten der Begriff Koma (Auszug aus WIKIPEDIA:In der Medizin ist ein voll ausgeprägtes Koma (griechisch κῶμα, „tiefer Schlaf“) die schwerste Form einer quantitativen Bewusstseinsstörung. In diesem Zustand kann das Individuum auch durch starke äußere Stimuli, wie wiederholte Schmerzreize, nicht geweckt werden. ….. Das Koma ist somit ein Symptom (Krankheitszeichen) und keine Krankheit.)“

Wenn ich darüber etwas lese oder persönlich darüber nachdenke, überkommt mich das Gefühl der Traurigkeit. Das Ereignis des Skiunfalls am 29.12.2013 von Michael Schuhmacher hat mich gedanklich in das Jahr 2000 zurück versetzt. Wie war es eigentlich damals?

 

Rückschau:

Autounfall M. Ludwig (ca. 18 Monate Wachkoma)

Am Morgen des 07. März 2000 ging es zu wie immer. „Tschüss Papa“ und schon war er weg, und ich wie immer „Fahr vorsichtig!“ Eigentlich etwas Alltägliches. Aber an diesem Tag sollte es anders sein.

So gegen 10:00 Uhr kam ein Anruf von meiner Tochter und ich erfuhr etwas Schreckliches. „Papa. M. hatte einen Unfall, er ist im Krankenhaus – komm schnell nach Hause!“. Irgendwie erfasste ich nur – es war etwas Unheilvolles passiert. So fuhr ich dann mit meiner Ehefrau in das Krankenhaus. Da unser Sohn noch im OP war wurden wir wieder nach Hause geschickt. Mehrere Stunden wurde er operiert. Erst am späten Nachmittag durften wir zu ihm.

Er lag da und hatte einen Kopfverband. Eigentlich lag er ruhig da und wir konnten ihn sehen. Wir waren irgendwie erleichtert. So richtig erfasste ich die Schwere erst einmal gar nicht. Er lebt und das war wohl erst einmal das Wichtigste.

So vergingen 8 Wochen auf der Intensivstation. Während dieser Zeit durchlebte ich viele Situationen. Immer stand dabei im Vordergrund – es wurde alles getan, um ihn am Leben zu erhalten. Es war die schlimme Lungenentzündung, die ihm zu schaffen machte. Es war für uns als Eltern schlimm, dabei stehen zu müssen und nichts kann man tun – nur warten und hoffen. Immer wieder die gleichen Aussagen der Ärzte „Wir tun alles, können aber nichts sagen. Wir hoffen, dass wir ihn am Leben erhalten können!“. So zwischen Leben und Tod, nie wissend wie und ob er es schafft, ist eine Erfahrung, die niemandem zu wünschen ist. Und trotzdem durchleben viele Menschen diese Stunden.“ 

So erging es uns vor 14 Jahren. Plötzlich und unerwartet traf es uns wie ein Schlag. Nichts ahnend, nichts wissend, genau so hat es die Ehefrau Corinna Schuhmacher ereilt. Der 14-jährige Sohn hat diesen schrecklichen Unfall unmittelbar miterlebt, ein für ihn traumatisches Ereignis. 

Was jeder Einzelne hofft ist eine schnelle medizinische Hilfe, um die gesundheitlichen Auswirkungen des Unfalls aus medizinischer Sicht zu minimieren.

In den ersten Verlautbarungen wurde von einem schweren Schädel-Hirn-Trauma gesprochen, was sich ja auch später diagnostisch bestätigte.

Aus eigenem Erleben sind die Ängste der Familie über den weiteren Verlauf auf der Intensivstation nachvollziehbar. Als schlimm empfinden die Angehörigen die Ungewissheit. Es steht immer die Fragestellung im Raum: „Wird er es schaffen?“

Die Situation, die Befindlichkeiten der Angehörigen ist nur von Menschen nachzuvollziehen, die persönlich eine solche Situation durchlebten.

Der Schicksalsschlag kommt unvorbereitet. Vieles stürzt auf die Angehörigen ein. Einige Empfindungen der Angehörigen sind:

  • orientierungslos …

  • Angst überwiegt …

  • Hoffnung – überleben

  • es gibt aber Hoffnung – durch Reha

  • es wird schon wieder …

  • sie werden schon alles tun …

  • Fragen treten auf …

 

Es ist die Hoffnung auf Besserung des Gesundheitszustandes, es sind die Meinungen der Ärzte zum weiteren Verlauf, es sind die Fragenden wie es dem Kranken geht und viele andere Probleme, auf die ich nicht weiter eingehen möchte.

Das Schädel-Hirn-Trauma hat in seinen Auswirkungen sehr unterschiedliche, individuelle Verläufe. Nach den in den letzten Jahren gesammelten persönlichen Erfahrungen bzw. den Erfahrungen von betroffenen Familien bestätigt sich diese Einschätzung in beindruckender Weise.

Wir wissen nicht, wie es bei Michael Schumacher weitergeht. Wir wissen auch nicht, wie sich der Verlauf bei anderen Menschen mit einem SHT zeigt. Wir hoffen, dass die Verläufe, wie unterschiedlich sie auch immer sind, sich für den Patienten positiv gestalten mögen.

Vor 14 Jahren erlitt unser Sohn das SHT und wir sind froh, dass er unter uns weilt. Er ist wach und kann seine Umwelt gut wahrnehmen. Er lebt im häuslichen Umfeld, ist aber völlig pflegeabhängig.

Ariel Scharon erlitt einen Schlaganfall und daraus resultierte dann ein fast 8 Jahre währender Zustand im Koma. Im Januar 2014 ist er an multiplem Organversagen verstorben.

Wir wissen nichts anzufangen mit dem „Koma“ und/oder „sog. Wachkoma“. Das sog. Wachkoma ist u.a. gekennzeichnet durch:Bewusstseinsstörung, keine willkürliche Reaktionsfähigkeit, eine bewusste Wahrnehmung von der eigenen Person und der Umwelt ist nicht möglich. Die Wachheit ist erhalten deshalb spricht man auch vom Wachkoma.

Klinische Merkmale sind wie folgt beschrieben:

  • es fehlen Hinweise auf elementare kognitive Funktionen

  • Schlaf – Wach – Rhythmus erhalten, aber gestört

  • können keinen Blickkontakt aufnehmen, nicht fixieren und sind zu keiner Blickfolge in der Lage

  • Primitivreflexe sind möglich (greifen, Muskelzuckungen, orale Automatismen)

 

Die Ursachen können sehr unterschiedlich sein, unter anderem:

Unfallbedingte und nichttraumatische Hirnschädigungen (globale hypoxische Hirnschädigung – Kreislauf- oder Ateminsuffizienz (Herzinfarkt oder Asthma-Anfall, Schlaganfall, Hirn und Hirnhautentzündungen, Hirntumore und Vergiftungen) Diagnose erst nach mindestens einem Monat stellen!

Auftretende Symptome müssen über den Zeitraum von einem Monat persistieren (fortdauernd, bestehen bleiben) um die Diagnose zu rechtfertigen.

 

(Auszug aus Recht Ethik Gesundheit Hrsg. W. Höfling

Prof. Dr. Wilhelm Nacimiento S. 29 – 48)

 

Patientencharakteristika sind immer individuell, dazu können zählen:

 

  • schwer beeinträchtigte und oder fehlende Selbstversorgungsfähigkeit

  • schwer gestörte oder fehlende Mobilität

  • schwer beeinträchtigte oder fehlende Kommunikationsfähigkeit

  • schwere Störungen im Verhalten

  • ggf. Abhängigkeit von lebenserhaltenden Hilfsmitteln wie Ernährungssonden und/oder Beatmungsgeräten

 

Hoffnungsvoll schauen wir uns um und suchen etwas, wovon wir selber vielleicht noch gar nicht wissen, was es ist. Wir sind betroffen von dem was im Allgemeinen als Schicksalsschlag bezeichnet wird. Wir suchen nach Ideen, die wir noch gar nicht erfasst haben. Wir wollen fragen und wissen noch gar nicht welche Fragen für uns wichtig sind. Wir wissen aber eines ganz gewiss – für den Menschen im sog. Wachkoma (unser Angehöriger) soll alles getan werden, damit er gesund wird und dass es ihm gut geht – es soll ihm gut gehen!

Sog. Wachkoma – ein Begriff der Angst einflößt. Wir hören Ihr Angehöriger befindet sich im Wachkoma! Der Schreck fährt uns in die Glieder und was bedeutet es jetzt konkret?

Wir finden etwas im Internet, wir finden Bücher, wir fragen den Arzt und wir bekommen viele und doch wenig befriedigende Antworten. Noch mehr Fragen ergeben sich, wenn die Pflegekräfte das eine, die Therapeuten das andere und der Arzt eine dritte Meinung vertritt. Es ist alles dabei – Angst die aufkommt, Hoffnungen die schwinden bis hin zu Das wird sowieso nichts mehr“.

Vor allem das Durcheinander von Begrifflichkeiten, Meinungen, Möglichkeiten usw. macht uns Angst. Wir wollen doch aber Hoffnung schöpfen für unseren Betroffenen aber auch für uns als Angehörige.

Ergibt sich die Antwort für die Familien aus der Sicht als Angehöriger

  • bedauernd

  • leidvoll zu sehen

  • nicht helfen können

 

Was sehen sie aus den Augen des Betroffenen?

  • Zustand hoffnungslos

  • Zustand mit Hoffnung

  • Erkennbare Zufriedenheit

  • Erkennbarer Kampf um das Weiterleben

  • Erkennbarer Zustand des nicht mehr Leben wollen

Es gibt zurzeit keine Lösungen. Die Sichtweise ist für jeden subjektiv geprägt. Lassen Sie uns transparent und öffentlich reden und schreiben – über Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen.

Was aber kommt nach der Intensivstation? Wie geht es weiter im Leben des Patienten? Entscheidungen stehen an, die durch die Angehörigen zu überlegen und dann zu treffen und umzusetzen sind. Bei allen Überlegungen muss der Patient im Mittelpunkt stehen. Es müssen Lebensbedingungen formuliert werden, die für die Lebensqualität unabdingbar sind. Es ist nicht einfach, zumal keine Vorstellungen bzw. Erfahrungen bei den Angehörigen vorliegen. Über nachfolgende Möglichkeiten bzw. Verhaltensweisen müssen die Angehörigen informiert bzw. aufgeklärt werden.

  • Unterbringung (zu Hause oder in stationärer Einrichtung)

  • Therapien (Physio-, Ergo-, Logopädie und andere Therapieformen)

  • Aktivierende Versorgung und spezielle Pflege nach Phase F

  • Einsatz von Heilmitteln und unterstützende geeignete, individuelle Hilfsmittel

  • Richtige Ansprache des Betroffenen, mit ihm gemeinsam planen und umsetzen.

  • Ihn dort abholen, wo er sich gerade befindet und ihn in sein Leben (Teilhabe) begleiten.

 

Jeder Pflegende und jeder Angehörige, der mit diesen Menschen Kontakte hat, der sich persönlich einbringt, unabhängig seiner beruflichen Voraussetzungen muss:

  • den gesundheitlichen Zustand kennen

  • den individuellen Verlauf beobachten

  • kommunizieren können (verbal oder nonverbal)

  • sollte in Schulung und Weiterbildung integriert sein

  • sollte bereit sein dazu zu lernen

  • sollte bereit sein zuzuhören und sich auszutauschen

  • sollte fachlich kompetent sein (trifft auch für Angehörige zu)

  • sollte seine Grenzen im Handeln kennen

  • sollte sich über seinen „Tellerrand“ hinaus bewegen

Für alle trifft ein Spruch den Kern dessen, worauf wir uns immer berufen sollten:

Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm die Würde zu“

(BVerfGE 88, 203 (252); 39, 1 (41)

 

Meine Empfehlungen:

Es kommt heute im Besonderen darauf an, mehr die Themen um das Schädel-Hirn-Trauma bzw. die Schädel-Hirn-Verletzung in den Medien öffentlich zu machen.

Es kommt darauf an, in besonderer Weise die Themenvielfalt rund um die spezielle Pflege dieser Patienten öffentlich und transparent zu beschreiben (Phase F).

Es kommt für alle betroffenen Familien darauf an, die Eigenerfahrungen in seiner Vielfältigkeit transparent und öffentlich anderen neu betroffenen Familie zur Verfügung zu stellen (über Verbände z.B. SHV – FORUM GEHIRN e.V.)

Es muss darauf ankommen, dass im Gesundheitswesen die öffentliche Darstellung von neurologischen Krankheitsbildern und der damit einhergehenden Pflege gleichberechtigt transparent und öffentlich dargestellt wird.

Es muss der Gesellschaft wert sein, dass Patienten mit schwersten und schweren Schädigungen des zentralen Nervensystems (z.B. im Zustand des sog. Wachkomas) so gut versorgt werden, wie es ihnen laut Gesetz zusteht. Es darf nicht sein, dass es erst über Widerspruchsbearbeitung bzw. Klage vor dem Sozialgericht eingefordert werden muss. 

Lothar Ludwig – betroffener Vater
Januar 2014

image_pdfPDFimage_printDrucken